Freundschaft mit Kratzern

Vier Monate lebte der deutsche Fotograf Matto Barfuss bei einer wilden Gepardenfamilie in der Serengeti. Dabei gelangen ihm einmalige Aufnahmen einer Raubkatzenmutter und ihrer Jungen.


Text und Fotos: Matto Barfuss




Vorsichtig gleite ich aus dem Land Rover und lege mich in die Steppe. Es ist Juli und Trockenzeit in der Serengeti. Das Gras ist störrisch und unglaublich scharfkantig. Leicht schneidet man sich die Hände auf. Mein Begleiter Nyangusi startet den Motor. Wenige Augenblicke später verschwindet er hinter einer ratternden Staubwolke aus meiner Realität. Es ist gerade drei Wochen her, seit ich mich in eine Gepardin mit ihren fünf Jungen verliebte. Wir haben sie zufällig getroffen. Seitdem nehme ich täglich den 50 Kilometer weiten Weg vom Camp im Seroneratal in die Grassteppe auf mich, um bei den Katzen zu sein. Bisher kamen wir stets frühmorgens vor Sonnenaufgang und verliessen sie erst abends, nachdem sie bereits ihren Schlafplatz gefunden hatten. In den letzten Tagen habe ich immer wieder versucht, nähere Bekanntschaft mit der Gepardenfamilie zu machen. Vergebens - die Gepardenmutter reagierte auf alle Versuche aggressiv.

Geschafft! Jäger und Gejagte verschwinden in einer Staubwolke Behutsam hebe ich den Kopf. Die Geparde sind noch rund 300 Meter entfernt. Sie scheinen mich noch nicht bemerkt zu haben und halten geradewegs auf mich zu. Ich bringe meine Fotokamera «in Anschlag» und hoffe auf einige gute Aufnahmen. Noch 100 Meter Steppenboden zwischen den Geparden und mir: Die Mutter hält inne und starrt mich regungslos an. Auch die Jungen haben mich längst gesehen. Was nun passiert, übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Ich höre auf zu denken, bin so aufgeregt, dass es mir kaum gelingt, brauchbare Fotos zu machen. Bis ich mich wieder beruhigt habe, haben mich die jungen Geparde bereits umrundet. Die Katzenkinder sind gut drei Monate alt.

Die angeborene Neugierde treibt sie unablässig an, ihre Umwelt zu erforschen. Ein Gepardenkopf verschwindet in der Gegenlichtblende meiner Kamera. Ich schaue etwas irritiert auf. Das eifrige Gepardenkind weicht zurück und faucht. Während ich so abgelenkt bin, betatscht eines der Geschwister meine Schuhe. Ich drehe mich um und schaue es an. Das Katzenkind faucht ebenfalls und zieht sich schleunigst zurück. Allerdings nur für wenige Augenblicke, dann kommt es wieder hervor, gurrend wie ein Täubchen, was ein Ausdruck von Neugierde und Angst ist.

Mit der Meute aus fünf Gepardenkindern beschäftigt, bemerke ich nicht, dass mein Begleiter mittlerweile mit dem Auto zurückgekommen ist. Eine Autotür ist offen. Noch ehe wir sie schliessen können, hat sich einer der jungen Geparde auf Entdeckungsreise ins Fahrzeuginnere begeben. Er untersucht alles - auch mit seinen scharfen Krallen. Seither nenne ich die Gepardenkinder mit dem Suaheli-Namen «Fundis», was soviel heisst wie Automechaniker.

Gleich wird es dunkel. Die Mutter, die sich bis anhin kaum genähert hat, ruft ihre Zöglinge. Die folgen nur widerwillig. Deshalb ziehe ich mich ins Fahrzeug zurück. So klingt binnen kürzester Zeit die Neugierde ab, und die Gepardin kann ungestört einen sicheren Schlafplatz in der offenen Steppe bestimmen, von wo aus sie ihre Umgebung und allfällige Gefahren überblicken kann.

Am nächsten Morgen bin ich wie gewohnt vor Sonnenaufgang zur Stelle. Die Gepardenfamilie kennt das Ritual und fühlt sich nicht mehr gestört. Nyangusi parkt das Auto in 50 Metern Entfernung, ich steige aus und nähere mich auf allen vieren robbend.

Die Gepardenkinder kommen mir entgegen und untersuchen mich. Stück für Stück verlieren sie ihre Scheu. Und so habe ich alle Hände voll zu tun, meine Haut gegen fünf «Fundis» zu verteidigen. Die Gepardin dagegen gibt sich nach wie vor distanziert. Sie beobachtet mich aus sicherer Entfernung. Jedoch akzeptiert sie, dass ich mit ihrem Nachwuchs zusammen bin, und lässt sich durch meine Anwesenheit nicht stören. Als eine Gruppe Gazellen die wundersame Kulisse der Simba Kopjes betritt, will die Gepardin jagen.

Ich ziehe mich ins Auto zurück. Die Katzenkinder beobachten ihre Mutter bei der Jagd. Sie ist eine hervorragende Jägerin. Ich gebe ihr den Namen «Diana». Die Gepardenkinder taufe ich «Dione», «Thea», «Attila», «Titan» und «Hans». Geparde unterscheiden sich durch ihre Charaktereigenschaften und vor allem durch die individuellen Ringelungen am Schwanz.

Darf ich Dir was ins Ohr flüstern? Mittlerweile bin ich für die Gepardenkinder zum Gepard geworden, zumindest dann, wenn ich auf allen vieren mit ihnen in der Steppe bin. Die Gepardenmutter bringt mir bereits enormes Vertrauen entgegen. Wenn sie jagt, lässt sie mich mit ihren Zöglingen zurück. Ich sitze dann ebenso aufmerksam im Gras, ganz so, als wollte ich jagen lernen.

Ende Juli muss ich fürs erste nach Deutschland zurück. Wie immer bin ich vor Sonnenaufgang im Kreise der Geparden. Wir tollen ausgelassen auf dem staubigen Boden. «Diana» ist auffallend neugierig. Zum ersten Mal beginnt sie mich zu beschnüffeln. Zeitweise zieht sie sich einige Meter zurück und fasst wieder neuen Mut.

Was dann passiert, ist einer der tiefsten Eindrücke dieser Reise. Unvermittelt sind wir Nase an Nase. Ich schaue in faszinierend tief rotbraune, grosse Augen. Die Katze weicht nicht zurück. Ganz im Gegenteil, sie richtet sich nur leicht auf und betatscht mich. Die Tatze ist unglaublich weich. Ich bin tief gerührt. Der Abschied wird dadurch noch schwerer: Gepardenfamilie, ich liebe euch!

Drei Wochen später nehme ich mein «Gepardenleben» wieder auf. Ich finde die Familie fast auf Anhieb wieder. Die Jungen sind ausdauernder geworden. So werden unsere Wanderungen länger und länger: Voraus die Gepardin, dahinter ihre Jungen und hinterher ich - zu meinem Leidwesen bin ich nur auf allen Vieren als Familienmitglied akzeptiert. Ich will die Familie nicht aufhalten und krieche fleissig. Wird der Abstand zu gross, laufe ich gebückt mit herunterhängenden Armen. Manchmal bleibt die Gepardin rücksichtsvoll stehen.

In der Mittagszeit brennt die Sonne gnadenlos. Überlebensprinzip der Geparde in der unwirtlichen Steppe ist, Energie zu sparen. Sie verschlafen die heisseste Zeit des Tages im spärlichen Schatten des Steppengrases. Die Gepardenmutter verfällt in eine Art Halbschlaf. Immer wieder schreckt sie auf und kontrolliert die Umgebung. «Diana» weiss zunehmend meine Anwesenheit zu schätzen und zu nutzen. Wenn ich schlafe, übernimmt sie die Bewachung, und umgekehrt. Bisweilen lässt sie mich mit ihren Jungen alleine und legt sich in einiger Entfernung ins Gras.

Die Gepardenmutter trifft auf zwei Thomsongazellen, die Lieblingsbeute der schnellen Raubkatzen. Eine der Gazellen muss ihre Unbekümmertheit mit dem Leben bezahlen. Ich versuche mich zumindest symbolisch an dem Gaumenschmaus zu beteiligen.

Längst haben sich alle Geparde an der Gazelle gütlich getan. Sie sind im regelrechten Blutrausch und auch untereinander sehr aggressiv.

Ich krabble näher. Zehn Meter, fünf Meter - das Gepardenkind «Attila» dreht sich um. Es droht. Mit grossen Augen und halb geöffnetem Maul starrt es mich an und kommt ganz langsam näher. Immer wieder faucht es. Ich erwidere sein Verhalten, fauche und gehe zielstrebig auf es zu. Der Gepard beschwichtigt. Er sitzt plötzlich da, als wäre nichts gewesen. So lerne ich, auch Aggression ist Teil eines harmonischen Familienlebens mit Geparden. Dazu gehört auch, dass ich mir symbolische Bisse gefallen lassen muss, wenn ich vorgebe mitzufressen.

Darf ich Dir was ins Ohr flüstern? Im September erreichen wir ein weites Steppental. Es regnet täglich, und die Gazellen ziehen zum Teil in grossen Gruppen in die Steppe zurück. In diesem Gepardenparadies verbringen wir besonders viel Zeit mit Spielen. In der Regel werden Jagdspiele gemacht. Einer ist Jäger, der andere Gazelle. Der Jäger ist stets der aktivere. Er muss den Spurt üben, das Lenken mit dem Einsatz des Schwanzes und schliesslich den Kehlbiss und das Erwürgen der Beute. Da ich auf allen vieren behäbiger als die jungen Geparde bin, muss ich wohl oder übel die Rolle der Gazelle einnehmen.

Die Gazelle darf den Jäger nicht anschauen, erst dann kann die Jagd beginnen. Ich muss also ständig damit rechnen, von hinten angefallen zu werden. Dies ist im grossen und ganzen kein Problem, da die Geparde im Spiel eine angeborene Beisshemmung haben. Allerdings sind die Krallen der Geparde messerscharf. Ab dem dritten Lebensmonat können sie die Krallen zudem nicht mehr einziehen. Unbeabsichtigt fügen sie mir immer wieder kleinere blutende Wunden zu. Indem ich fauche und aggressiv reagiere, bringe ich ihnen nach und nach bei, dass «mein Fell» nicht so robust wie das eines Geparden ist. Und tatsächlich wird der Umgang im Laufe der Zeit sanfter.


Im Dezember, nach 17 bezaubernden und unvergesslichen Wochen, beschliesse ich, die Gepardenfamilie zu verlassen. Manchmal wandern die Katzen über 30 Kilometer am Tag. Diese enormen Strecken auf allen vieren zurückzulegen geht über meine Kräfte.

Bald verlässt die Mutter ihre Jungen. Sie werden gemeinsam jagen. Die jungen Geparde werden Erfolg haben, und wenn sie satt sind, wird ihre Mutter verschwunden sein. Die Geparde sind verunsichert. Immer wieder schauen sie zurück. Ich folge nicht. Am Ende verliere ich sie aus den Augen.

Was bleibt, ist ein bisschen Stolz. Die Serengeti hat fünf Geparde mehr. Für eine Gepardenmutter ist es ein seltenes Glück, fünf Junge in die Selbständigkeit zu entlassen. «Diana» hat gewusst, die Vorteile meiner Familienmitgliedschaft zu nutzen. Ich habe meine Rolle gerne gespielt und wünsche den Geparden alles Glück dieser Welt.



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Shirarch 26.11.2002

 
Freundschaft mit "Kratzern"
  Freundschaft mit Kratzern

Vier Monate lebte der deutsche Fotograf Matto Barfuss bei einer wilden Gepardenfamilie in der Serengeti. Dabei gelangen ihm einmalige Aufnahmen einer Raubkatzenmutter und ihrer Jungen.


Text und Fotos: Matto Barfuss




Vorsichtig gleite ich aus dem Land Rover und lege mich in die Steppe. Es ist Juli und Trockenzeit in der Serengeti. Das Gras ist störrisch und unglaublich scharfkantig. Leicht schneidet man sich die Hände auf. Mein Begleiter Nyangusi startet den Motor. Wenige Augenblicke später verschwindet er hinter einer ratternden Staubwolke aus meiner Realität. Es ist gerade drei Wochen her, seit ich mich in eine Gepardin mit ihren fünf Jungen verliebte. Wir haben sie zufällig getroffen. Seitdem nehme ich täglich den 50 Kilometer weiten Weg vom Camp im Seroneratal in die Grassteppe auf mich, um bei den Katzen zu sein. Bisher kamen wir stets frühmorgens vor Sonnenaufgang und verliessen sie erst abends, nachdem sie bereits ihren Schlafplatz gefunden hatten. In den letzten Tagen habe ich immer wieder versucht, nähere Bekanntschaft mit der Gepardenfamilie zu machen. Vergebens - die Gepardenmutter reagierte auf alle Versuche aggressiv.

Geschafft! Jäger und Gejagte verschwinden in einer Staubwolke Behutsam hebe ich den Kopf. Die Geparde sind noch rund 300 Meter entfernt. Sie scheinen mich noch nicht bemerkt zu haben und halten geradewegs auf mich zu. Ich bringe meine Fotokamera «in Anschlag» und hoffe auf einige gute Aufnahmen. Noch 100 Meter Steppenboden zwischen den Geparden und mir: Die Mutter hält inne und starrt mich regungslos an. Auch die Jungen haben mich längst gesehen. Was nun passiert, übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Ich höre auf zu denken, bin so aufgeregt, dass es mir kaum gelingt, brauchbare Fotos zu machen. Bis ich mich wieder beruhigt habe, haben mich die jungen Geparde bereits umrundet. Die Katzenkinder sind gut drei Monate alt.

Die angeborene Neugierde treibt sie unablässig an, ihre Umwelt zu erforschen. Ein Gepardenkopf verschwindet in der Gegenlichtblende meiner Kamera. Ich schaue etwas irritiert auf. Das eifrige Gepardenkind weicht zurück und faucht. Während ich so abgelenkt bin, betatscht eines der Geschwister meine Schuhe. Ich drehe mich um und schaue es an. Das Katzenkind faucht ebenfalls und zieht sich schleunigst zurück. Allerdings nur für wenige Augenblicke, dann kommt es wieder hervor, gurrend wie ein Täubchen, was ein Ausdruck von Neugierde und Angst ist.

Mit der Meute aus fünf Gepardenkindern beschäftigt, bemerke ich nicht, dass mein Begleiter mittlerweile mit dem Auto zurückgekommen ist. Eine Autotür ist offen. Noch ehe wir sie schliessen können, hat sich einer der jungen Geparde auf Entdeckungsreise ins Fahrzeuginnere begeben. Er untersucht alles - auch mit seinen scharfen Krallen. Seither nenne ich die Gepardenkinder mit dem Suaheli-Namen «Fundis», was soviel heisst wie Automechaniker.

Gleich wird es dunkel. Die Mutter, die sich bis anhin kaum genähert hat, ruft ihre Zöglinge. Die folgen nur widerwillig. Deshalb ziehe ich mich ins Fahrzeug zurück. So klingt binnen kürzester Zeit die Neugierde ab, und die Gepardin kann ungestört einen sicheren Schlafplatz in der offenen Steppe bestimmen, von wo aus sie ihre Umgebung und allfällige Gefahren überblicken kann.

Am nächsten Morgen bin ich wie gewohnt vor Sonnenaufgang zur Stelle. Die Gepardenfamilie kennt das Ritual und fühlt sich nicht mehr gestört. Nyangusi parkt das Auto in 50 Metern Entfernung, ich steige aus und nähere mich auf allen vieren robbend.

Die Gepardenkinder kommen mir entgegen und untersuchen mich. Stück für Stück verlieren sie ihre Scheu. Und so habe ich alle Hände voll zu tun, meine Haut gegen fünf «Fundis» zu verteidigen. Die Gepardin dagegen gibt sich nach wie vor distanziert. Sie beobachtet mich aus sicherer Entfernung. Jedoch akzeptiert sie, dass ich mit ihrem Nachwuchs zusammen bin, und lässt sich durch meine Anwesenheit nicht stören. Als eine Gruppe Gazellen die wundersame Kulisse der Simba Kopjes betritt, will die Gepardin jagen.

Ich ziehe mich ins Auto zurück. Die Katzenkinder beobachten ihre Mutter bei der Jagd. Sie ist eine hervorragende Jägerin. Ich gebe ihr den Namen «Diana». Die Gepardenkinder taufe ich «Dione», «Thea», «Attila», «Titan» und «Hans». Geparde unterscheiden sich durch ihre Charaktereigenschaften und vor allem durch die individuellen Ringelungen am Schwanz.

Darf ich Dir was ins Ohr flüstern? Mittlerweile bin ich für die Gepardenkinder zum Gepard geworden, zumindest dann, wenn ich auf allen vieren mit ihnen in der Steppe bin. Die Gepardenmutter bringt mir bereits enormes Vertrauen entgegen. Wenn sie jagt, lässt sie mich mit ihren Zöglingen zurück. Ich sitze dann ebenso aufmerksam im Gras, ganz so, als wollte ich jagen lernen.

Ende Juli muss ich fürs erste nach Deutschland zurück. Wie immer bin ich vor Sonnenaufgang im Kreise der Geparden. Wir tollen ausgelassen auf dem staubigen Boden. «Diana» ist auffallend neugierig. Zum ersten Mal beginnt sie mich zu beschnüffeln. Zeitweise zieht sie sich einige Meter zurück und fasst wieder neuen Mut.

Was dann passiert, ist einer der tiefsten Eindrücke dieser Reise. Unvermittelt sind wir Nase an Nase. Ich schaue in faszinierend tief rotbraune, grosse Augen. Die Katze weicht nicht zurück. Ganz im Gegenteil, sie richtet sich nur leicht auf und betatscht mich. Die Tatze ist unglaublich weich. Ich bin tief gerührt. Der Abschied wird dadurch noch schwerer: Gepardenfamilie, ich liebe euch!

Drei Wochen später nehme ich mein «Gepardenleben» wieder auf. Ich finde die Familie fast auf Anhieb wieder. Die Jungen sind ausdauernder geworden. So werden unsere Wanderungen länger und länger: Voraus die Gepardin, dahinter ihre Jungen und hinterher ich - zu meinem Leidwesen bin ich nur auf allen Vieren als Familienmitglied akzeptiert. Ich will die Familie nicht aufhalten und krieche fleissig. Wird der Abstand zu gross, laufe ich gebückt mit herunterhängenden Armen. Manchmal bleibt die Gepardin rücksichtsvoll stehen.

In der Mittagszeit brennt die Sonne gnadenlos. Überlebensprinzip der Geparde in der unwirtlichen Steppe ist, Energie zu sparen. Sie verschlafen die heisseste Zeit des Tages im spärlichen Schatten des Steppengrases. Die Gepardenmutter verfällt in eine Art Halbschlaf. Immer wieder schreckt sie auf und kontrolliert die Umgebung. «Diana» weiss zunehmend meine Anwesenheit zu schätzen und zu nutzen. Wenn ich schlafe, übernimmt sie die Bewachung, und umgekehrt. Bisweilen lässt sie mich mit ihren Jungen alleine und legt sich in einiger Entfernung ins Gras.

Die Gepardenmutter trifft auf zwei Thomsongazellen, die Lieblingsbeute der schnellen Raubkatzen. Eine der Gazellen muss ihre Unbekümmertheit mit dem Leben bezahlen. Ich versuche mich zumindest symbolisch an dem Gaumenschmaus zu beteiligen.

Längst haben sich alle Geparde an der Gazelle gütlich getan. Sie sind im regelrechten Blutrausch und auch untereinander sehr aggressiv.

Ich krabble näher. Zehn Meter, fünf Meter - das Gepardenkind «Attila» dreht sich um. Es droht. Mit grossen Augen und halb geöffnetem Maul starrt es mich an und kommt ganz langsam näher. Immer wieder faucht es. Ich erwidere sein Verhalten, fauche und gehe zielstrebig auf es zu. Der Gepard beschwichtigt. Er sitzt plötzlich da, als wäre nichts gewesen. So lerne ich, auch Aggression ist Teil eines harmonischen Familienlebens mit Geparden. Dazu gehört auch, dass ich mir symbolische Bisse gefallen lassen muss, wenn ich vorgebe mitzufressen.

Darf ich Dir was ins Ohr flüstern? Im September erreichen wir ein weites Steppental. Es regnet täglich, und die Gazellen ziehen zum Teil in grossen Gruppen in die Steppe zurück. In diesem Gepardenparadies verbringen wir besonders viel Zeit mit Spielen. In der Regel werden Jagdspiele gemacht. Einer ist Jäger, der andere Gazelle. Der Jäger ist stets der aktivere. Er muss den Spurt üben, das Lenken mit dem Einsatz des Schwanzes und schliesslich den Kehlbiss und das Erwürgen der Beute. Da ich auf allen vieren behäbiger als die jungen Geparde bin, muss ich wohl oder übel die Rolle der Gazelle einnehmen.

Die Gazelle darf den Jäger nicht anschauen, erst dann kann die Jagd beginnen. Ich muss also ständig damit rechnen, von hinten angefallen zu werden. Dies ist im grossen und ganzen kein Problem, da die Geparde im Spiel eine angeborene Beisshemmung haben. Allerdings sind die Krallen der Geparde messerscharf. Ab dem dritten Lebensmonat können sie die Krallen zudem nicht mehr einziehen. Unbeabsichtigt fügen sie mir immer wieder kleinere blutende Wunden zu. Indem ich fauche und aggressiv reagiere, bringe ich ihnen nach und nach bei, dass «mein Fell» nicht so robust wie das eines Geparden ist. Und tatsächlich wird der Umgang im Laufe der Zeit sanfter.


Im Dezember, nach 17 bezaubernden und unvergesslichen Wochen, beschliesse ich, die Gepardenfamilie zu verlassen. Manchmal wandern die Katzen über 30 Kilometer am Tag. Diese enormen Strecken auf allen vieren zurückzulegen geht über meine Kräfte.

Bald verlässt die Mutter ihre Jungen. Sie werden gemeinsam jagen. Die jungen Geparde werden Erfolg haben, und wenn sie satt sind, wird ihre Mutter verschwunden sein. Die Geparde sind verunsichert. Immer wieder schauen sie zurück. Ich folge nicht. Am Ende verliere ich sie aus den Augen.

Was bleibt, ist ein bisschen Stolz. Die Serengeti hat fünf Geparde mehr. Für eine Gepardenmutter ist es ein seltenes Glück, fünf Junge in die Selbständigkeit zu entlassen. «Diana» hat gewusst, die Vorteile meiner Familienmitgliedschaft zu nutzen. Ich habe meine Rolle gerne gespielt und wünsche den Geparden alles Glück dieser Welt.



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Shirarch 26.11.2002