Wildtierhaltung im Zoo -
Gefangen um zu Überleben

(aus Readers Digest)


IN EINER Oktobernacht des Jahres 1972 überschritt eine kleine Bande aus den Vereinigten Arabischen Emiraten unbemerkt die Grenze zum benachbarten Oman. Der Überfall hatte nicht etwa Menschen zum Ziel, sondern er galt einer Herde seltener Oryxantilopen. Ein vermögender Scheich wollte die weißen, langhörnigen Antilopen für seinen Privatzoo.

Die Eindringlinge, die Geländewagen mit Allradantrieb fuhren und mit automatischen Waffen schossen, trieben sieben verängstigte Tiere zusammen. Am nächsten Tag entdeckten omanische Nomaden in der glühenden Wüstensonne den Kadaver einer Weißen Oryxantilope, die von einem Auto getötet worden war, und die Köpfe von zwei weiteren. Die anderen vier Tiere hatten die Eindringlinge über die Grenze geschafft.

Von den Nomaden der Wüste verehrt: die Weiße Oryx Schon zu biblischen Zeiten streiften diese pfeilschnellen Antilopen in großer Zahl in der steinigen Wüste umher, die sich von Syrien bis zum Arabischen Meer erstreckt. Jahrhundertelang wurden sie von den Stämmen in der Gegend wegen ihres Fleisches erlegt. Aber erst die moderne Bejagung vom Geländewagen aus verringerte die Anzahl der Herden beträchtlich. Mit der Erbeutung der vier Tiere und der Dezimierung der kleinen omanischen Herde schien die Ausrottung der freilebenden arabischen Weißen Oryxantilope nun unmittelbar bevorzustehen.

Dennoch kann man heute Hunderte dieser einstmals gefährdeten Wüstentiere in Reservaten in Oman, Jordanien und Israel sehen. Daß es sie überhaupt noch gibt, ist ein kleines Wunder und das Verdienst eines internationalen Zuchtprojekts, bei dem junge Oryxantilopen in Gefangenschaft aufgezogen und dann in die Freiheit entlassen wurden.

Die Aktion mit dem Namen "Operation Oryx" begann 1962, als Naturschützer erkannten, daß die Tierart ohne rettende Maßnahmen aussterben würde. Damals lebten nicht einmal mehr 50 Weiße Oryx. Vier Organisationen - der Worid Wide Fund for Nature, die Weltnaturschutzunion, der Shikar Safari Club International und die Londoner Gesellschaft für Artenschutz - stellten eine Expedition zusammen, die nach Aden in der Republik Jemen führte und deren Teilnehmern es gelang, zwei männliche und ein weibliches Tier einzufangen.

Nach einer Quarantänezeit in Kenia wurden die Oryx in den Zoo von Phoenix im amerikanischen Bundesstaat Arizona gebracht, dessen Wüstenklima ihren gewohnten Lebensbedingungen ähnelte. Später schickten der Londoner Zoo und ein Scheich aus Kuwait noch jeweils ein weibliches Tier, und der mittlerweile verstorbene König Saud von Saudi-Arabien stellte zwei Pärchen zur Verfügung. Die neun Tiere waren die Begründer der Weltherde - so genannt, um zu unterstreichen, daß sie nicht im Besitz einer bestimmten Person oder Organisation waren. "Die Tiere gehören der Welt", sagt Jim Dolan, der Direktor des Zoos und Wildtierparks von San Diego. Er führt das wichtige Zuchtbuch der Oryx, in dem die Paarungen und Geburten festgehalten werden. Später schickte der Zoo von Riad drei weitere Weiße Oryxantilopen in den Zoo von Los Angeles. Streng genommen waren sie zwar nicht Teil der Weltherde, aber sie wurden mit den Tieren in Phoenix gekreuzt, und viele der Nachkommen wurden an Zoos in Nordamerika und Europa weitergegeben. Heute leben mehr als 1100 Oryxantilopen in Gefangenschaft und weitere 112 in freier Wildbahn - und die meisten stammen von den ursprünglichen zwölf Tieren ab.

In Gefangenschaft überleben.
Die Oryx waren eine der ersten Tierarten, die in größerer Zahl in Gefangenschaft gezüchtet und später wieder in ihren natürlichen Lebensraum entlassen wurden. Naturschützer wußten, daß die Wiederansiedlung Zeit kosten würde. Die Tiere mußten sich nicht nur auf das Klima und die Vegetation der Gegend einstellen, sondern auch mühsam lernen, sich in eine bestehende Herde einzugliedern. Sie mußten selbst Futter und Wasser suchen. Am wichtigsten war jedoch, daß man sie in geschützten Gebieten aussetzte, in denen sie nicht gejagt werden durften. Anlaß zu großer Sorge war der arabische Volksglaube, der einem Jäger große Lebenskraft verspricht, wenn er eine Weiße Oryxantilope erlegt und ißt.

Als erste bürgerten Israel und Jordanien die Antilopen wieder in ihren ursprünglichen Lebensraum ein. Aber die dramatischste Heimkehr fand im März 1980 statt, als fünf Tiere nord-amerikanischer Herkunft in Oman eintrafen. "Junge Männer starrten staunend die Tiere an, von denen sie gehört, die sie aber nie zuvor gesehen hatten - und weinten", sagt der Umweltschützer Ralph H. Daly, der das Projekt organisierte. "Alte Männer priesen Allah und sagten: "Bei Gott, wahrlich, Bin Sola (die Oryx) ist zu uns zurückgekehrt."

1982 wurde in Oman die erste Herde aus einer ein Quadratkilometer großen Umzäunung in die Wüste entlassen. Und die Nomaden, die einstmals die Oryx mit Pfeil und Bogen oder dem Gewehr gejagt hatten, hüten heute die Herde und haben geschworen, sie zu beschützen.

"Die Zoologischen Gärten sind die letzte Hoffnung für das Überleben vieler gefährdeter Arten", erklärt Jim Dolan. "Wir haben die Mittel - die Tiere, die Zuchtzentren und die wissenschaftliche Erfahrung." Viele Tiergärten - zum Beispiel der New Yorker Bronx-Zoo, der Zoo von San Diego, der Londoner Zoo und der Tierpark Berlin sind Forschungszentren, in denen Wissenschaftler, Verhaltensforscher, Physiologen und Tierärzte gefährdete Arten erforschen, züchten und aufziehen - oft schon im Blick darauf, sie hinterher wieder in ihrem natürlichen Lebensraum anzusiedeln.

An einigen Projekten wie der "Operation Oryx", die von mehreren Zoos unterstützt wurde, nehmen Tiergärten in der ganzen Welt teil. So arbeiten zum Beispiel sieben Zoologische Gärten in Kanada, einer in den Vereinigten Staaten und der Münchner Tierpark Hellabrunn an einem Zuchtprogramm zur Rettung des Waldbisons, von dem man schon angenommen hatte, daß er in der reinrassigen Form nicht mehr existiert. Ihr Ziel: In Gefangenschaft gesunde Tiere aufzuziehen und mit ihnen die kleine, gefährdete Herde im Nahanninationalpark in Nordwestkanada zu verstärken.

In Spanien, Deutschland und den Vereinigten Staaten bemühen sich die Zoologischen Gärten um die Mhorrgazelle, die rücksichtslos gemetzelt wurde wegen ihrer Bezoars, Ballen aus Haaren und Pflanzenfasern im Magen oder Darm, die angeblich magische medizinische Kräfte besitzen. Die Zoos vermehren die 123 Tiere, die sich in Gefangenschaft befinden.

1988 wurden 40 seltene und kostbare Bali-Stare aus einem Dutzend nordamerikanischer Zoos in eine indonesische Zuchtstation nach Surabaja transportiert. Nachkommen der Vögel werden, wenn sie ausgewachsen sind, in den geschützten Regenwäldem auf Bali in die Freiheit entlassen. "Die Zusammenarbeit ist ausgezeichnet." Zur Zeit sind Tausende von Tierarten stark bedroht, darunter der Nebelparder, der Schneeleopard, der Sumatratiger, die Goldstumpfnase (eine Schlankaffenart), der Mandschurenkranich, der Gepard, der Kouprey (eine Wildrindart), der Andenkondor und der Kalifornische Kondor.

Warum kümmert uns das eigentlich? Weil jede Tierart ein maßgeblicher Bestandteil ihrer Umwelt ist. Der Kot einer Antilope zum Beispiel ernährt Pflanzen und Mikroorganismen, die unentbehrlich sind für das Überleben anderer Pflanzen- und Insektensorten.

Das Unglück, daß eine Tierart in Vergessenheit gerät und ausstirbt, kann verhältnismäßig leicht eintreten. Umweltschützer sind vielleicht einen Moment unaufmerksam, und die Rasse geht verloren. Dieses Schicksal hätte auch fast das Östliche Steppenwildpferd ereilt, auch Przewalskipferd genannt nach dem russischen Forscher, der es als erster 1879 in Zentralasien entdeckte.

Das Przewalskipferd ist das einzige wirkliche Wildpferd, das noch existiert. Es ist kleiner und kräftiger gebaut als sein zahmer Bruder und hat eine aufrecht stehende Mähne, einen langen Schweif und einen schwarzen Rückenstreifen. Die prächtigen Geschöpfe, die jahrhundertelang im Gobi-Altai in der westlichen Mongolei und in der Region Xinjiang in China beheimatet waren, verschwanden vor 30 Jahren buchstäblich von der Bildfläche; die zahlreichen Viehherden und die industrielle Pferdezucht in der Mongolei hatten sie von ihren Wasserlöchem vertrieben und in Dürregebiete abgedrängt, wo sie nicht mehr genug Futter fanden.

Glücklicherweise hatten die Mongolen um die Jahrhundertwende einige Pferde nach Rußland und Deutschland exportiert. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gab es in der Tschechoslowakei und Deutschland 33 Zuchtpferde. Die beiden Länder arbeiteten dann gemeinsam an einem Zuchtprogramm, und als die Herden größer wurden, schickte man einzelne Tiere auch in andere Staaten. Im Januar 1991 befanden sich in 117 zoologischen Gärten in etwa 25 Ländern rund 1.200 Östliche Steppenwildpferde.

Obwohl die Pferde über die ganze Erde verstreut sind, werden sie als eine genetische Population geführt. "Alle Zoos haben die alleinige Verfügungsgewalt über ihre Tiere aufgegeben und einer übergeordneten Kontrolle zugestimmt", sagt Waltraut Zimmermann, Kuratorin der Säugetierabteilung im Kölner Zoo und Koordinatorin des Zuchtprogramms für das Przewalskipferd in Europa. Etwa 200 Zoologische Gärten beteiligen sich heute weltweit am Europäischen Erhaltungszuchtprogramm, das Koordinatoren wie Zimmermann erlaubt, gegen einen Transfer oder einen Verkauf ein Veto einzulegen. Als das Programm 1985 ins Leben gerufen wurde, glaubte Waltraut Zimmermann, daß politische Rivalitäten die Oberhand gewinnen würden. "Aber das geschah nicht", sagt sie. "Im Rahmen dieses Programms ist die Zusammenarbeit ausgezeichnet."

So wandte sich 1985 China an Jim Dolan und erbat seine Hilfe bei der Ansiedlung einer Gruppe von Przewalskipferden auf einem 70.000 Hektar großen Reservat in Xinjiang inmitten des historischen Lebensraums der Tiere. Dolan erklärte sich bereit, sechs Pferde aus dem Zoo von San Diego zur Verfügung zu stellen. Dann rief er in Berlin an und überzeugte Wolfgang Grummt, den stellvertretenden Direktor des Tierparks, fünf weitere Artgenossen zu senden. Diese elf Pferde werden jetzt in Xinjiang in einem Gehege gehalten und weitergezüchtet, bis 80 Tiere in das Reservat entlassen werden können.

Nutznießer Mensch.
Das gemeinsame Anliegen, gefährdete Tierarten zu retten, eint die Zoodirektoren, und ihre Zuchtprojekte überwinden Ideologien und Grenzen. Trotzdem kann der Transfer von Tieren an bürokratischen Verordnungen scheitern. Bevor zum Beispiel ein Tier aus China in einen Zoo in den Vereinigten Staaten geschickt werden kann, fordert die Amerikanische Landwirtschaftsbehörde, daß es 30 Tage lang in Quarantäne gehalten wird. Die meisten amerikanischen Zoos benutzen dazu die Quarantänestation in Hamburg.

Aber auch Deutschland hat seine Vorschriften:
Tiere, die aus Nicht-EG-Ländem importiert werden, müssen zuvor bis zu sechs Monate lang außerhalb des Landes gehalten werden - sogar diejenigen, die für die Quarantänestation bestimmt sind.

Jemand muß die Tiere aufnehmen.
Bis zum Oktober 1990 übernahm der Tierpark Berlin diese Aufgabe. Kein anderer Zoo hat so enge Kontakte sowohl zum Westen wie auch zu Rußland und zu China. Der stellvertretende Direktor Grummt, 59, erinnert sich an die erste Anfrage aus Moskau 1955, bei dem Transfer eines Zweihöckrigen Kamels von Ost nach West auszuhelfen. "Ohne uns", sagt Grummt, "hätten diese Transfers wahrscheinlich nie stattgefunden. Das sprach sich herum, und andere Zoos in Europa und den Vereinigten Staaten nahmen unsere Quarantänedienste in Anspruch genommen. Statt Geld zu verlangen, haben wir die Zoos gebeten, uns Tiere zu schicken. Auf diese Weise wuchs unser Bestand - und unsere Erfahrung."

Ist das nicht ein süßes Äffchen? Ja, aber akut von der Ausrottung bedroht! Wissenschaftler haben mittlerweile erkannt, daß die Aufzucht der Tiere in Gefangenschaft ein - wie es der Verhaltensforscher Donald G. Lindburg ausdrückt - "Schutzwall gegen die Ausrottung" ist. Lindburg ist einer der weltweit größten Experten für den Wanderu oder Bartaffen, der seit mindestens zwei Millionen Jahren in den immergrünen Regenwäldem im süd-westlichen Indien lebt. Jetzt ist die Art durch die zunehmende Rodung und Bejagung gefährdet. Die noch lebenden Tiere fristen ihr Dasein - isoliert voneinander - in den verbliebenen Fleckchen Regenwald. Die Lage des neugierigen Primaten mit dem schwarzen Fell, silbergrauen Backenbart und einem Schwanz, der dem des Löwen gleicht, auf die Rote Liste der Gefährdeten Tierarten gebracht.

Früher war es schwierig, den Wanderu in Gefangenschaft großzuziehen. Noch Mitte der 70er Jahre starben 40 Prozent aller in Gefangenschaft geborenen Bartaffen schon als Jungtiere. Dann trat jedoch eine dramatische Wende ein - und das ist teilweise das Verdienst des Fürsten Rainier von Monaco, der 20 Jahre lang in seinem Privatzoo eine der weltweit größten Bartaffenkolonien hielt. 1983 verkaufte er den ganzen Bestand - 15 Affen - an den Zoo von San Diego, der schon sieben eigene besaß. Lindburg paarte Affen des Fürsten mit solchen des San-Diego-Zoos und erforschte ihre Sozialstruktur und ihr Paarungsverhalten. Seine Erkenntnisse haben die Überlebenschancen der Tiere wesentlich verbessert; die Sterblichkeitsrate der Jungtiere wurde halbiert.

Der weltweite Bestand der in menschlicher Obhut lebenden Bartaffen ist seither auf etwa 525 angewachsen. Der Fota Wildlife Park der Grafschaft Cork in Irland und der Zoologische Garten von Doue-La-Fontaine in Frankreich haben Bartaffen aus Nordamerika erhalten. In San Diego hat Lindburg eine Zuchtkolonie aus 15 Bartaffen mit dem Ziel aufgebaut, die Gruppe weiter zu vermehren und sie auf die Wiederansiedlung in der Wildnis vorzubereiten. "Das ist ein wirklicher Testfall", sagt Lindburg. "Kein in Gefangenschaft geborener Bartaffe ist bisher in die Wildnis entlassen worden." Er ist optimistisch. Die Affen im Pferch kommen mit der natürlichen Umgebung zurecht. Sie lernen, im Gras nach Futter zu suchen und auf ein Raubtier zu reagieren. "Eines Tages kreiste ein Truthahngeier über ihnen", sagt Lindburg.Ob Raubkatzen, Dickhäuter oder Vögel, Tierparks sind oft die letzte Zufluchtstätte für eine bedrohte Art. Leider. "Mütter schnappten ihre Babys, Jungtiere blieben bewegungslos stehen, die Männchen ließen ein warnendes Bellen hören. Das sind gute Vorzeichen."

Angesichts so vieler Tierarten am Rande des Aussterbens haben Naturschützer die Qual der Wahl, wo sie ihre begrenzten Hilfsmittel einsetzen. Aber die Wissenschaftler sind sich darüber im klaren, daß sie so viele bedrohte Tierarten wie möglich retten müssen. "Es dreht sich nicht darum, dieses oder jenes Tier zu erhalten", sagt Waltraut Zimmermann. "Das Problem ist, daß wir den Planeten retten müssen. Denn wenn wir eine Tierart erhalten, erhalten wir damit auch die Umwelt, in der sie lebt. Das erhöht wiederum die Überlebenschancen des bedrohten Tieres. Aber es steht für mich außer Frage, daß der endgültige Nutznießer der Rettungsprogramme für bedrohte Tierarten letztlich der Mensch selbst ist."

Home -- zurück zu Berichte
GOWEBCounter by INLINE
(c) Shirarch 21.09.2002

 
Wildtierhaltung im Zoo - Gefangen um zu Überleben
 

Wildtierhaltung im Zoo -
Gefangen um zu Überleben

(aus Readers Digest)


IN EINER Oktobernacht des Jahres 1972 überschritt eine kleine Bande aus den Vereinigten Arabischen Emiraten unbemerkt die Grenze zum benachbarten Oman. Der Überfall hatte nicht etwa Menschen zum Ziel, sondern er galt einer Herde seltener Oryxantilopen. Ein vermögender Scheich wollte die weißen, langhörnigen Antilopen für seinen Privatzoo.

Die Eindringlinge, die Geländewagen mit Allradantrieb fuhren und mit automatischen Waffen schossen, trieben sieben verängstigte Tiere zusammen. Am nächsten Tag entdeckten omanische Nomaden in der glühenden Wüstensonne den Kadaver einer Weißen Oryxantilope, die von einem Auto getötet worden war, und die Köpfe von zwei weiteren. Die anderen vier Tiere hatten die Eindringlinge über die Grenze geschafft.

Von den Nomaden der Wüste verehrt: die Weiße Oryx Schon zu biblischen Zeiten streiften diese pfeilschnellen Antilopen in großer Zahl in der steinigen Wüste umher, die sich von Syrien bis zum Arabischen Meer erstreckt. Jahrhundertelang wurden sie von den Stämmen in der Gegend wegen ihres Fleisches erlegt. Aber erst die moderne Bejagung vom Geländewagen aus verringerte die Anzahl der Herden beträchtlich. Mit der Erbeutung der vier Tiere und der Dezimierung der kleinen omanischen Herde schien die Ausrottung der freilebenden arabischen Weißen Oryxantilope nun unmittelbar bevorzustehen.

Dennoch kann man heute Hunderte dieser einstmals gefährdeten Wüstentiere in Reservaten in Oman, Jordanien und Israel sehen. Daß es sie überhaupt noch gibt, ist ein kleines Wunder und das Verdienst eines internationalen Zuchtprojekts, bei dem junge Oryxantilopen in Gefangenschaft aufgezogen und dann in die Freiheit entlassen wurden.

Die Aktion mit dem Namen "Operation Oryx" begann 1962, als Naturschützer erkannten, daß die Tierart ohne rettende Maßnahmen aussterben würde. Damals lebten nicht einmal mehr 50 Weiße Oryx. Vier Organisationen - der Worid Wide Fund for Nature, die Weltnaturschutzunion, der Shikar Safari Club International und die Londoner Gesellschaft für Artenschutz - stellten eine Expedition zusammen, die nach Aden in der Republik Jemen führte und deren Teilnehmern es gelang, zwei männliche und ein weibliches Tier einzufangen.

Nach einer Quarantänezeit in Kenia wurden die Oryx in den Zoo von Phoenix im amerikanischen Bundesstaat Arizona gebracht, dessen Wüstenklima ihren gewohnten Lebensbedingungen ähnelte. Später schickten der Londoner Zoo und ein Scheich aus Kuwait noch jeweils ein weibliches Tier, und der mittlerweile verstorbene König Saud von Saudi-Arabien stellte zwei Pärchen zur Verfügung. Die neun Tiere waren die Begründer der Weltherde - so genannt, um zu unterstreichen, daß sie nicht im Besitz einer bestimmten Person oder Organisation waren. "Die Tiere gehören der Welt", sagt Jim Dolan, der Direktor des Zoos und Wildtierparks von San Diego. Er führt das wichtige Zuchtbuch der Oryx, in dem die Paarungen und Geburten festgehalten werden. Später schickte der Zoo von Riad drei weitere Weiße Oryxantilopen in den Zoo von Los Angeles. Streng genommen waren sie zwar nicht Teil der Weltherde, aber sie wurden mit den Tieren in Phoenix gekreuzt, und viele der Nachkommen wurden an Zoos in Nordamerika und Europa weitergegeben. Heute leben mehr als 1100 Oryxantilopen in Gefangenschaft und weitere 112 in freier Wildbahn - und die meisten stammen von den ursprünglichen zwölf Tieren ab.

In Gefangenschaft überleben.
Die Oryx waren eine der ersten Tierarten, die in größerer Zahl in Gefangenschaft gezüchtet und später wieder in ihren natürlichen Lebensraum entlassen wurden. Naturschützer wußten, daß die Wiederansiedlung Zeit kosten würde. Die Tiere mußten sich nicht nur auf das Klima und die Vegetation der Gegend einstellen, sondern auch mühsam lernen, sich in eine bestehende Herde einzugliedern. Sie mußten selbst Futter und Wasser suchen. Am wichtigsten war jedoch, daß man sie in geschützten Gebieten aussetzte, in denen sie nicht gejagt werden durften. Anlaß zu großer Sorge war der arabische Volksglaube, der einem Jäger große Lebenskraft verspricht, wenn er eine Weiße Oryxantilope erlegt und ißt.

Als erste bürgerten Israel und Jordanien die Antilopen wieder in ihren ursprünglichen Lebensraum ein. Aber die dramatischste Heimkehr fand im März 1980 statt, als fünf Tiere nord-amerikanischer Herkunft in Oman eintrafen. "Junge Männer starrten staunend die Tiere an, von denen sie gehört, die sie aber nie zuvor gesehen hatten - und weinten", sagt der Umweltschützer Ralph H. Daly, der das Projekt organisierte. "Alte Männer priesen Allah und sagten: "Bei Gott, wahrlich, Bin Sola (die Oryx) ist zu uns zurückgekehrt."

1982 wurde in Oman die erste Herde aus einer ein Quadratkilometer großen Umzäunung in die Wüste entlassen. Und die Nomaden, die einstmals die Oryx mit Pfeil und Bogen oder dem Gewehr gejagt hatten, hüten heute die Herde und haben geschworen, sie zu beschützen.

"Die Zoologischen Gärten sind die letzte Hoffnung für das Überleben vieler gefährdeter Arten", erklärt Jim Dolan. "Wir haben die Mittel - die Tiere, die Zuchtzentren und die wissenschaftliche Erfahrung." Viele Tiergärten - zum Beispiel der New Yorker Bronx-Zoo, der Zoo von San Diego, der Londoner Zoo und der Tierpark Berlin sind Forschungszentren, in denen Wissenschaftler, Verhaltensforscher, Physiologen und Tierärzte gefährdete Arten erforschen, züchten und aufziehen - oft schon im Blick darauf, sie hinterher wieder in ihrem natürlichen Lebensraum anzusiedeln.

An einigen Projekten wie der "Operation Oryx", die von mehreren Zoos unterstützt wurde, nehmen Tiergärten in der ganzen Welt teil. So arbeiten zum Beispiel sieben Zoologische Gärten in Kanada, einer in den Vereinigten Staaten und der Münchner Tierpark Hellabrunn an einem Zuchtprogramm zur Rettung des Waldbisons, von dem man schon angenommen hatte, daß er in der reinrassigen Form nicht mehr existiert. Ihr Ziel: In Gefangenschaft gesunde Tiere aufzuziehen und mit ihnen die kleine, gefährdete Herde im Nahanninationalpark in Nordwestkanada zu verstärken.

In Spanien, Deutschland und den Vereinigten Staaten bemühen sich die Zoologischen Gärten um die Mhorrgazelle, die rücksichtslos gemetzelt wurde wegen ihrer Bezoars, Ballen aus Haaren und Pflanzenfasern im Magen oder Darm, die angeblich magische medizinische Kräfte besitzen. Die Zoos vermehren die 123 Tiere, die sich in Gefangenschaft befinden.

1988 wurden 40 seltene und kostbare Bali-Stare aus einem Dutzend nordamerikanischer Zoos in eine indonesische Zuchtstation nach Surabaja transportiert. Nachkommen der Vögel werden, wenn sie ausgewachsen sind, in den geschützten Regenwäldem auf Bali in die Freiheit entlassen. "Die Zusammenarbeit ist ausgezeichnet." Zur Zeit sind Tausende von Tierarten stark bedroht, darunter der Nebelparder, der Schneeleopard, der Sumatratiger, die Goldstumpfnase (eine Schlankaffenart), der Mandschurenkranich, der Gepard, der Kouprey (eine Wildrindart), der Andenkondor und der Kalifornische Kondor.

Warum kümmert uns das eigentlich? Weil jede Tierart ein maßgeblicher Bestandteil ihrer Umwelt ist. Der Kot einer Antilope zum Beispiel ernährt Pflanzen und Mikroorganismen, die unentbehrlich sind für das Überleben anderer Pflanzen- und Insektensorten.

Das Unglück, daß eine Tierart in Vergessenheit gerät und ausstirbt, kann verhältnismäßig leicht eintreten. Umweltschützer sind vielleicht einen Moment unaufmerksam, und die Rasse geht verloren. Dieses Schicksal hätte auch fast das Östliche Steppenwildpferd ereilt, auch Przewalskipferd genannt nach dem russischen Forscher, der es als erster 1879 in Zentralasien entdeckte.

Das Przewalskipferd ist das einzige wirkliche Wildpferd, das noch existiert. Es ist kleiner und kräftiger gebaut als sein zahmer Bruder und hat eine aufrecht stehende Mähne, einen langen Schweif und einen schwarzen Rückenstreifen. Die prächtigen Geschöpfe, die jahrhundertelang im Gobi-Altai in der westlichen Mongolei und in der Region Xinjiang in China beheimatet waren, verschwanden vor 30 Jahren buchstäblich von der Bildfläche; die zahlreichen Viehherden und die industrielle Pferdezucht in der Mongolei hatten sie von ihren Wasserlöchem vertrieben und in Dürregebiete abgedrängt, wo sie nicht mehr genug Futter fanden.

Glücklicherweise hatten die Mongolen um die Jahrhundertwende einige Pferde nach Rußland und Deutschland exportiert. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gab es in der Tschechoslowakei und Deutschland 33 Zuchtpferde. Die beiden Länder arbeiteten dann gemeinsam an einem Zuchtprogramm, und als die Herden größer wurden, schickte man einzelne Tiere auch in andere Staaten. Im Januar 1991 befanden sich in 117 zoologischen Gärten in etwa 25 Ländern rund 1.200 Östliche Steppenwildpferde.

Obwohl die Pferde über die ganze Erde verstreut sind, werden sie als eine genetische Population geführt. "Alle Zoos haben die alleinige Verfügungsgewalt über ihre Tiere aufgegeben und einer übergeordneten Kontrolle zugestimmt", sagt Waltraut Zimmermann, Kuratorin der Säugetierabteilung im Kölner Zoo und Koordinatorin des Zuchtprogramms für das Przewalskipferd in Europa. Etwa 200 Zoologische Gärten beteiligen sich heute weltweit am Europäischen Erhaltungszuchtprogramm, das Koordinatoren wie Zimmermann erlaubt, gegen einen Transfer oder einen Verkauf ein Veto einzulegen. Als das Programm 1985 ins Leben gerufen wurde, glaubte Waltraut Zimmermann, daß politische Rivalitäten die Oberhand gewinnen würden. "Aber das geschah nicht", sagt sie. "Im Rahmen dieses Programms ist die Zusammenarbeit ausgezeichnet."

So wandte sich 1985 China an Jim Dolan und erbat seine Hilfe bei der Ansiedlung einer Gruppe von Przewalskipferden auf einem 70.000 Hektar großen Reservat in Xinjiang inmitten des historischen Lebensraums der Tiere. Dolan erklärte sich bereit, sechs Pferde aus dem Zoo von San Diego zur Verfügung zu stellen. Dann rief er in Berlin an und überzeugte Wolfgang Grummt, den stellvertretenden Direktor des Tierparks, fünf weitere Artgenossen zu senden. Diese elf Pferde werden jetzt in Xinjiang in einem Gehege gehalten und weitergezüchtet, bis 80 Tiere in das Reservat entlassen werden können.

Nutznießer Mensch.
Das gemeinsame Anliegen, gefährdete Tierarten zu retten, eint die Zoodirektoren, und ihre Zuchtprojekte überwinden Ideologien und Grenzen. Trotzdem kann der Transfer von Tieren an bürokratischen Verordnungen scheitern. Bevor zum Beispiel ein Tier aus China in einen Zoo in den Vereinigten Staaten geschickt werden kann, fordert die Amerikanische Landwirtschaftsbehörde, daß es 30 Tage lang in Quarantäne gehalten wird. Die meisten amerikanischen Zoos benutzen dazu die Quarantänestation in Hamburg.

Aber auch Deutschland hat seine Vorschriften:
Tiere, die aus Nicht-EG-Ländem importiert werden, müssen zuvor bis zu sechs Monate lang außerhalb des Landes gehalten werden - sogar diejenigen, die für die Quarantänestation bestimmt sind.

Jemand muß die Tiere aufnehmen.
Bis zum Oktober 1990 übernahm der Tierpark Berlin diese Aufgabe. Kein anderer Zoo hat so enge Kontakte sowohl zum Westen wie auch zu Rußland und zu China. Der stellvertretende Direktor Grummt, 59, erinnert sich an die erste Anfrage aus Moskau 1955, bei dem Transfer eines Zweihöckrigen Kamels von Ost nach West auszuhelfen. "Ohne uns", sagt Grummt, "hätten diese Transfers wahrscheinlich nie stattgefunden. Das sprach sich herum, und andere Zoos in Europa und den Vereinigten Staaten nahmen unsere Quarantänedienste in Anspruch genommen. Statt Geld zu verlangen, haben wir die Zoos gebeten, uns Tiere zu schicken. Auf diese Weise wuchs unser Bestand - und unsere Erfahrung."

Ist das nicht ein süßes Äffchen? Ja, aber akut von der Ausrottung bedroht! Wissenschaftler haben mittlerweile erkannt, daß die Aufzucht der Tiere in Gefangenschaft ein - wie es der Verhaltensforscher Donald G. Lindburg ausdrückt - "Schutzwall gegen die Ausrottung" ist. Lindburg ist einer der weltweit größten Experten für den Wanderu oder Bartaffen, der seit mindestens zwei Millionen Jahren in den immergrünen Regenwäldem im süd-westlichen Indien lebt. Jetzt ist die Art durch die zunehmende Rodung und Bejagung gefährdet. Die noch lebenden Tiere fristen ihr Dasein - isoliert voneinander - in den verbliebenen Fleckchen Regenwald. Die Lage des neugierigen Primaten mit dem schwarzen Fell, silbergrauen Backenbart und einem Schwanz, der dem des Löwen gleicht, auf die Rote Liste der Gefährdeten Tierarten gebracht.

Früher war es schwierig, den Wanderu in Gefangenschaft großzuziehen. Noch Mitte der 70er Jahre starben 40 Prozent aller in Gefangenschaft geborenen Bartaffen schon als Jungtiere. Dann trat jedoch eine dramatische Wende ein - und das ist teilweise das Verdienst des Fürsten Rainier von Monaco, der 20 Jahre lang in seinem Privatzoo eine der weltweit größten Bartaffenkolonien hielt. 1983 verkaufte er den ganzen Bestand - 15 Affen - an den Zoo von San Diego, der schon sieben eigene besaß. Lindburg paarte Affen des Fürsten mit solchen des San-Diego-Zoos und erforschte ihre Sozialstruktur und ihr Paarungsverhalten. Seine Erkenntnisse haben die Überlebenschancen der Tiere wesentlich verbessert; die Sterblichkeitsrate der Jungtiere wurde halbiert.

Der weltweite Bestand der in menschlicher Obhut lebenden Bartaffen ist seither auf etwa 525 angewachsen. Der Fota Wildlife Park der Grafschaft Cork in Irland und der Zoologische Garten von Doue-La-Fontaine in Frankreich haben Bartaffen aus Nordamerika erhalten. In San Diego hat Lindburg eine Zuchtkolonie aus 15 Bartaffen mit dem Ziel aufgebaut, die Gruppe weiter zu vermehren und sie auf die Wiederansiedlung in der Wildnis vorzubereiten. "Das ist ein wirklicher Testfall", sagt Lindburg. "Kein in Gefangenschaft geborener Bartaffe ist bisher in die Wildnis entlassen worden." Er ist optimistisch. Die Affen im Pferch kommen mit der natürlichen Umgebung zurecht. Sie lernen, im Gras nach Futter zu suchen und auf ein Raubtier zu reagieren. "Eines Tages kreiste ein Truthahngeier über ihnen", sagt Lindburg.Ob Raubkatzen, Dickhäuter oder Vögel, Tierparks sind oft die letzte Zufluchtstätte für eine bedrohte Art. Leider. "Mütter schnappten ihre Babys, Jungtiere blieben bewegungslos stehen, die Männchen ließen ein warnendes Bellen hören. Das sind gute Vorzeichen."

Angesichts so vieler Tierarten am Rande des Aussterbens haben Naturschützer die Qual der Wahl, wo sie ihre begrenzten Hilfsmittel einsetzen. Aber die Wissenschaftler sind sich darüber im klaren, daß sie so viele bedrohte Tierarten wie möglich retten müssen. "Es dreht sich nicht darum, dieses oder jenes Tier zu erhalten", sagt Waltraut Zimmermann. "Das Problem ist, daß wir den Planeten retten müssen. Denn wenn wir eine Tierart erhalten, erhalten wir damit auch die Umwelt, in der sie lebt. Das erhöht wiederum die Überlebenschancen des bedrohten Tieres. Aber es steht für mich außer Frage, daß der endgültige Nutznießer der Rettungsprogramme für bedrohte Tierarten letztlich der Mensch selbst ist."

Home -- zurück zu Berichte
GOWEBCounter by INLINE
(c) Shirarch 21.09.2002