Wundersame Wandlung einer Raubkatze

Digitale Bildverfälschungen haben bereits Eingang in wissenschaftliche Zeitschriften gefunden

Seit geraumer Zeit werden Fotos nachträglich am Computer zu Werbezwecken verändert. Dass digital konstruierte Bilder in Fachzeitschriften mit wissenschaftlichem Anspruch publiziert werden, ist hingegen neu.

VON TOBIAS FREY

Wildtierfotografen sind nicht zu beneiden. Am Anfang stehen aufwendige Recherchen. Geduld und Ausdauer, aber auch Glück sind nötig, damit sensationelle Tierbilder gelingen. Zu den schwierigsten Sujets gehört der jagende Gepard: Plötzlich schiesst er los, explosionsartig, kann innerhalb weniger Sekunden auf gegen 120 Stundenkilometer beschleunigen und fliegt hinter der Impala-Antilope her. Diese versucht mit Richtungswechseln ihren Verfolger abzuschütteln. Nach wenigen hundert Metern im Zickzackkurs ist der Spuk bereits wieder vorüber - die in der Hast geschossenen Bilder unscharf oder nicht packend genug.

Was liegt da näher, als mit der Technik nachträglich etwas nachzuhelfen? Einer, der dies meisterhaft beherrscht, ist der südafrikanische Tierfotograf Steve Bloom. "Ich produziere ungewöhnliche Bilder, die extrem manipuliert sind auf dem Computer", verkündet er auf seiner Homepage im Internet. Ein Produkt, das er dort anbietet - ein Gepard, der einer Impala-Antilope hinterherjagt. Wie er diese Fotografie erzeugt hat, beschrieb er vor etwa einem Jahr in einer britischen Fotofachzeitschrift sinngemäss so: "Der Gepard wurde in einer Aufzuchtstation und die Impala-Antilope im Krüger-Nationalpark in Südafrika fotografiert. Der jagende Gepard wurde aus drei verschiedenen Bildern zusammengesetzt und am Bildschirm zu seiner endgültigen Form "gezogen"." Dazu zeigte Bloom das Ausgangsmaterial: Fotos eines sich eher gemächlich davontrollenden Gepards.

Augenpartie stimmt nicht

Dieses Konstrukt einer Wildtierfotografie taucht mittlerweile in Katalogen von Bildagenturen auf - allerdings nicht als solches deklariert. Kürzlich wurde es als Illustration eines Artikels über die genetische Verarmung der Geparde im englischen Wissenschaftsmagazin "New Scientist" publiziert (Nr. 2017, S. 14) - ebenfalls ohne eine Bemerkung über die Herstellung. Das Konstrukt sei verblüffend echt, meinte die Wildkatzenforscherin Marianne Hartmann-Furter von der Universität Zürich. Nur ein einziges Detail in der gestochen scharf gezeichneten Kopfregion macht sie stutzig: Selbst ein Gepard hat bei 120 Stundenkilometern die Augen kaum weit aufgerissen und starrt völlig teilnahmslos an der Antilope vorbei.

Zumindest ein gewiefter "New Scientist"-Leser, der sich Wildlife-Kameramann und Umweltschützer nennt, hat dies auch bemerkt: "Bereits heute verlieren die Menschen den Bezug zur Natur. Dies wird beschleunigt, wenn bearbeitete Fotos so gebraucht werden, als wären sie echt. Es wäre eine Schande, wenn die Geparde aussterben würden und wir nicht einmal mehr sicher wären, wie sie überhaupt ausgesehen haben", schrieb er in einem Leserbrief. Er ärgerte sich nur über den Gepard, denn den Teil des Fotos mit der Impala-Gazelle zeigte "New Scientist" nicht. Diese ist zum Gepard proportional zu klein dargestellt.

Zur Verdeutlichung erlaubt

Bloom hatte zudem einem springenden Weibchen digital die Hörner eines Bocks aufgesetzt. "Wir wussten, dass das Foto nicht echt war", erklärte der zuständige Bildredaktor von "New Scientist" auf Anfrage des TA. "Gelegentlich setzen wir solche Bilder ein, informieren aber die Leserschaft darüber." Zumindest im Fall des Gepards traf das nicht zu.

Haben digital stark veränderte oder konstruierte Bilder in der Presse überhaupt etwas zu suchen? "Nur mit der entsprechenden Deklaration", sagt Christian Doelker, Medienpädagoge an der Universität Zürich. "Digital erzeugte Bilder dürfen zudem nur zur Vorstellungshilfe für den Leser, zur didaktischen Verdeutlichung, aber nicht als Beleg oder gar als Beweis eingesetzt werden. Das wäre dann eine unzulässige Manipulation." Die Wahrheit wird in der Fotografie seit jeher verstärkt. Bilder werden in der Dunkelkammer nachträglich verändert, optimiert, retuschiert.

Allerdings, so sagen Berufsfotografen, sind dort Grenzen gesetzt. Zudem ist eine Retusche ein Einzelfall, aufwendig in der Herstellung und oft relativ leicht zu erkennen. Doelker: "Mit der Digitalisierung sind Tür und Tor geöffnet für Veränderungen und Fälschungen. Deshalb wird man "Fotografien" längerfristig gar nicht mehr - auch nicht mehr in Gerichtsverfahren oder in der Presse - als Beweismittel einsetzen können."

Digitale Bilder sind Alltag

Die Fotografen sind von der Technik überrumpelt worden. Vor wenigen Jahren waren es eine Handvoll Pioniere, die mit der neuen Technik experimentierten. Mittlerweile hat sich die digitale Technik, zumindest in der Werbung, im Alltag durchgesetzt. Trotzdem existieren heute im Verband der Schweizer Berufsfotografen noch keine Richtlinien für den Umgang mit digitalisierten Bildern, auch in anderen Ländern nicht. Aber nicht nur Fotografen, auch Agenturen und Verlage (siehe Kasten) sind gefordert.

Die Fotografen sind sich über den Einsatz der neuen Technik nicht einig, so wie es Wildlife-Fotograf und Bildmanipulator Bloom wahrhaben will: Noch 1993 habe sich am Wildlife Photography Symposium im Natural History Museum in London grosses Unbehagen gegenüber der "unethischen" digitalen Technik ausgedrückt, schrieb er in einer britischen Fotofachzeitschrift. Bereits ein Jahr später habe sich das Unbehagen in Enthusiasmus über die technischen Möglichkeiten gewandelt.

Das stimmt nur teilweise: Unter den Fotografen gibt es Kritiker, die sich mit der Entwicklung partout nicht anfreunden wollen. Mathias Hofstetter, Mitglied des Präsidiums der Schweizer Berufsfotografen und überzeugter Anhänger der digitalen Technik: "Unter den Fotografen gibt es zwei Lager. Wir haben viele, die Angst haben vor den neuen Techniken." Sei es aus emotionalen oder aus ideellen Gründen: Die "Puristen", wie die Kritiker genannt werden, sind noch nicht verstummt. Aber es werden immer weniger.



Vom Sünder zum Vorbild

Strenge Regeln bei "National Geographic"

Digital manipulierte Bilder zogen in den frühen achtziger Jahren in die Presse ein: Auf dem Titelbild des amerikanischen Magazins "National Geographic" vom Februar 1982 prangten die beiden Pyramiden von Gise - wegen des Bildformats seitlich zusammengedrückt. Die Unkorrektheit wurde rasch offensichtlich, ein weiteres Bild vom gleichen Standort aus war im Heftinnern abgedruckt. "National Geographic" hat aus dem Fehler gelernt: "Unsere Ethik duldet heute nicht mehr, was wir in den frühen achtziger Jahren gemacht haben", schreibt Kent J. Kobersteen, Direktor für Fotografie, auf TA-Anfrage.

Das Magazin hat inzwischen vorbildhaft ein Protokoll ausgearbeitet über den Umgang mit Bildern, egal, ob sie konventionell oder digital bearbeitet werden: Es erlaubt diskussionslos Aufhellungen und Schattierungen, Farbkorrekturen, Entfernung von Staub, Kratzern und technischen Defekten, die Entfernung von Artefakten sowie das Hinzufügen von inhalts- oder strukturlosem Hintergrund zur Verstärkung des Bildcharakters. Veränderungen müssen hingegen diskutiert werden, wenn sie den Inhalt des Bildes ändern; wenn die Identität einer Person auf dem Foto geschützt werden muss, wenn ein Element im Bild das Empfinden verletzen könnte und deshalb entfernt werden muss oder wenn Fotos für illustrative Zwecke mit Kunstcharakter verändert werden.

An solchen Diskussionen ist das ganze Team - Fotografen, Redaktoren, Layouter, Journalisten - beteiligt. "Wildlife-Fotografien verändern wir grundsätzlich nicht digital. Wir geben uns die grösste Mühe sicherzustellen, dass sie in der freien Wildbahn und nicht in Gefangenschaft aufgenommen wurden", schreibt Kobersteen.

Im "Tages-Anzeiger" sind nur Farbverbesserungen erlaubt, jede sonstige digitale Bildveränderung ist strikte untersagt. Fotomontagen sind möglich, jedoch klar zu kennzeichnen. (tf.)

(Quelle: Tagesanzeiger, Datum unbekannt)

 


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