In Sachsen sorgt ein Rudel Wölfe auf dem Truppenübungsplatz Nochten für internationales Aufsehen. Ob sie sich dauerhaft etablieren können, ist unklar. In den rumänischen Karpaten dagegen lebt mit 3000 Tieren Europas größte Wolfspopulation mit Menschen und Schafen zusammen.

Platz für drei bis fünf Rudel

Sechs Jungwölfe wurden in der Lausitz schon geboren,
nur über den diesjährigen Nachwuchs ist nichts bekannt

Die Diplom-Biologin Gesa Kluth studiert im Auftrag des sächsischen Umweltministeriums die Wölfe in der Lausitz. Seit sechs Jahren beschäftigt sich die 32-Jährige mit den Tieren.


Haben Sie denn in der Lausitz schon einen Wolf gesehen?
Nein. Ich sehe immer nur die Spuren, viele Spuren. Auch außerhalb des Truppenübungsplatzes. Ich vermesse die dann, wie groß sie sind, und versuche Rückschlüsse zu ziehen, welche Tiere das waren.

Was für Rückschlüsse lassen sich da ziehen? Ein großer Teil meiner Informationen stammt von Förstern und Jägern. Dafür bin ich sehr dankbar, und diese Informationen brauche ich auch dringend für meine Arbeit. Wir wollen ein breites Informations-Netzwerk aufbauen, vor allem mit Jägern und Förstern, die oft im Wald sind, um uns einen immer besseren Überblick über die Anwesenheit und Verbreitung der Wölfe zu verschaffen. Wenn ich bis jetzt alles zusammennehme, kann man davon ausgehen, daß es im Jahr 2000 vier Jungwölfe gab. Im November 2000 wurden zwei Altwölfe und vier Jungtiere zusammen gesehen. Im Jahr darauf sprechen alle Untersuchungen für zwei Jungtiere. Die sind jetzt Jährlinge und immer noch mit den Eltern auf dem Truppenübungsplatz unterwegs. Meist aber allein oder zu zweit, die treten selten im ganzen Rudel auf. Das kann man an den Spuren ablesen.

Dann hätten wir jetzt acht.
Genau, wobei sich die vier ersten Jungwölfe mit großer Wahrscheinlichkeit selbständig gemacht haben und sich nicht mehr auf dem Truppenübungsplatz aufhalten, sondern weiter westwärts.

Und wie steht es um Nachwuchs in diesem Jahr?
Das wissen wir noch nicht. Wir ha-ben jetzt versucht herauszufinden, ob es Welpen gibt, aber ohne Erfolg.

Wie können Sie das herausfinden?
Über Heulanimation, man macht das Heulen nach und hofft, daß die Welpen antworten. Jetzt im Sommer könnten die zwei Monate alt sein. Wir haben uns mit den Förstern vier Nächte rausgesetzt, aber keine Antwort bekommen. Aber die Chance, daß es Welpen gibt, ist relativ hoch. Sie haben genug zu fressen, sie haben ihre Ruhe.

Wie groß ist das Territorium des Altrudels jetzt?
Das ist sehr groß, bestimmt größer als 150 Quadratkilometer. Die gehen über den Truppenübungsplatz eindeutig hinaus.

Wie geht es mit den Wölfen auf dem Schießplatz weiter?
Hier auf dem Truppenübungsplatz geht es den Wölfen gut. Da kann man davon ausgehen, daß die Elterntiere weiter Junge bekommen. Andererseits wissen wir, daß der Rüde schon recht alt ist. Der ist schon seit 1994,1995 da, und Wölfe werden im besten Fall 15 oder 16 Jahre alt. Mit ungefähr zwei Jahren werden die Jungwölfe geschlechtsreif und wandern entweder von allein ab, um ein eigenes Rudel zu gründen oder die Eltern machen ihnen klar, daß es Zeit ist zu gehen.

Wie groß kann ein Rudel sein?
Wölfe passen sich an, aber ihre Zahl wird in Sachsen nicht sprunghaft ansteigen. Etwa fünf bis acht Tiere, das sind Werte, die wir aus Polen kennen.

Wie wird sich die Wolfspopulation in Sachsen entwickeln?
Die jetzt zweijährigen Jungwölfe halten sich jetzt rund um den Tagebau Nochten auf, die südwestlichsten Hinweise stammen aus dem Weißkollmer Wald bei Lohsa. Diese Geschwistergruppe wird zerfallen, die Tiere werden neue Partner su-chen. Raum ist für mehrere Rudel. Wölfe gehen aber keine Partnerschaften mit Geschwistern ein, auch nicht aus verschiedenen Jahren. Dazu müßten sie auf neu zugewanderte Wölfe stoßen. Man kann also nicht hochrechnen, wie sich die Wolfspopulation entwickelt. Die Zahl der Wölfe wird nicht sprunghaft steigen.

Zieht es die Jungwölfe immer weiter westwärts?
Anscheinend. Sie können sich Bereiche westwärts bis zur Königsbrücker Heide erschließen. Wölfe haben sehr wenig Ansprüche. Die können fast überall leben. Das wissen wir aus Untersuchungen. Wölfe leben in Spanien in der Agrarsteppe, in Rumänien sogar in Vororten der Städte. Die Wölfe haben damit keine Probleme. Das Entscheidende ist, wie die Menschen damit klarkommen, wollen die das oder wollen die das nicht.

Was halten Sie von Schutzge-bieten für Wölfe, ein Umwelt-verband will Land erwerben?
Das halte ich für Unsinn. Wölfe nutzen ein riesiges Territorium. Sie sind sehr anpassungsfähig. Wenn der Wolf dauerhaft eine Chance haben will, muß er mit den Gegebenheiten hier klarkommen. Ich glaube, mit Forderungen nach Schutzgebieten verärgert man eher die Leute, als daß sie dem Wolf nutzen.

Müssen sich die Menschen vor den Wölfen schützen?
Wölfe sind sehr scheu. Ich halte mich sehr viel im Wolfsrevier auf und habe noch nicht einmal einen entdeckt. Normalerweise sind Wölfe keine Gefahr. Was nicht auszuschließen ist, sind Übergriffe auf Schafe. Die entschädigt der Freistaat angemessen. Zu Auseinandersetzungen zwischen Wolf und Mensch kann es kommen, wenn ein Schäfer dazwischen geht, falls ein Wolf die Herde attackiert. Dann will der Wolf nicht den Schäfer fressen. Wenn er nicht gleich flieht, dann weil er an seiner Beute - dem Schaf - festhalten will. Wir haben jetzt aus Polen so genannte Lappenzäune geholt, mit denen dort Schafherden geschützt werden. Die können Schäfer bei uns kostenlos ausleihen, wenn sich Wölfe in der Nähe der Herde herumtreiben.

Sind Angriffe auf Haustiere häufig?
Bislang gibt es nur Angriffe auf eine Schafherde bei Mühlrose. Wahrscheinlich waren es Wölfe, die dort vor vier Jahren sieben Schafe gerissen haben. Der Angriff Ende April dieses Jahres erfolgte mit Sicherheit durch Wölfe, der Verlust lag bei 33 Schafen. Andere Berichte gingen auf das Konto wildernder Hunde, auch der jüngste über gerissene Rehe bei Dresden. Bis dahin hat sich keiner der Wölfe verirrt. Gemeinsam mit dem Biologen Hermann Ansorge vom Naturkundemuseum Görlitz analysieren wir Losungen der Tiere. Ich kann dem Ergebnis nicht vorweggreifen, aber wir haben nur Reste von Schalenwild - Reh, Hirsch, Wildschwein, Mufflon - und Hasen festgestellt.

Entwickeln Sie bitte eine Vision für die Wölfe in Sachsen.
Vorausgesetzt die Tiere werden geduldet, dann glaube ich, ist Platz für drei bis fünf kleinere Rudel. Die Tiere leben auf ehemaligen Truppenübungsplätzen oder in Tagebaugebieten und großen Waldgebieten der Lausitz bis hinein in die Königsbrücker Heide. Die Leute fürchten sich nicht vor dem Wolf, so wenig wie vor dem Fuchs, und wissen, daß Wölfe eine gute Nahrungsgrundlage mit Rehen, Hirschen und Wildschweinen vorfinden und sich nicht von Großmüttern und kleinen Mädchen ernähren, weil das Märchen sind. Der Ökotourismus schließlich könnte einen besonderen Anziehungspunkt vorweisen.

Das Gespräch führte Jörg Marschner und Frank Tausch
Sächsische Zeitung, 2. August 2002

 


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