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3. Der Stammbaum der Grosskatzen

Bevor hier weitere Eigenschaften der Raubkatzen und deren Abgrenzung gegenüber anderen Raubtieren vorgestellt werden, ist es angezeigt, auf die in der Biologie übliche Einteilung der Lebewesen in Familien und Grossgruppen einzugehen. Die Systematik (oder Taxonomie) ist ein Teilgebiet der Zoologie und Botanik mit der Aufgabe der Einordnung aller Lebewesen in ein System. Die Systematik beschreibt die Eigenschaften von einzelnen Arten und Gruppen und dient damit primär als unentbehrliches Werkzeug, um bestimmte Lebewesen allgemeingültig zu benennen und in der Natur zu identifizieren zu können. Die Systematik ist grundsätzlich ein Werkzeug und kein Selbstzweck (etwa um den Namen eines Forschers unsterblich zu machen!), weshalb man bemüht ist, nicht zu viele Gruppen und Arten zu benennen. Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Autoren sind nicht selten bei der Einteilung in Familien oder Ordnungen, weil die Beschreibung der Eigenschaften von einzelnen Arten zwar nicht bestritten wird, wohl aber die Gewichtung der beobachteten Unterschiede. Es ist deshalb üblich in der systematischen Fachliteratur, bei der Nennung einer Art auch den Autor zu nennen, der sie zum erstenmal beschrieben hat.

Nach welchen Kriterien werden nun aber Gattungen, die äusserlich so verschieden aussehen wie Walrosse und Hauskatzen, in einen Stammbaum der Raubtiere eingeordnet? Die Unterscheidung einzelner Familien wird nicht nach häufig wechselnden Merkmalen wie Fellfarbe oder Körpergrösse vorgenommen, sondern nach möglichst konstanten Merkmalen wie dem Gebiss (Anzahl verschiedener Zahntypen, Kapitel 2.2.) und Grössenverhältnissen von Teilen des Schädels und des Gehapparates oder der Gehörknöchelchen (Hunt, 1987). Diese Eigenschaften des Knochenbauplans und der Zahnformen verändern sich sehr viel langsamer während der evolutionären Entwicklung und bleiben als Grundbauplan erhalten, auch wenn möglicherweise auffällige, aber zunächst nur auf Äusserlichkeiten beschränkte, Variationen innerhalb derselben Familie von Tierarten auftreten. Der Begriff "Rasse" wird in der Systematik nicht verwendet, dagegen gibt es den Begriff "Varietät", der eine Spielart bzw. geringfügige Unterschiede bezeichnet. Nach dem sog. biologischen Artbegriff können sich verschiedene Arten nicht miteinander fortpflanzen, sodass fruchtbare Nachkommen entstehen. Daneben gibt es auch den morphologischen Artbegriff, der sich an Merkmalen des Körperbaus orientiert (siehe auch das Kapitel über Raubkatzen-Hybride).

Die systematische Einteilung des Gepards:

  • Stamm (phylum): Chordata (Chordatiere, Unterstamm Wirbeltiere)

  • Klasse (classis): Mammalia (Säugetiere)

  • Ordnung (ordo): Carnivora (Raubtiere)

  • Familie (familia): Felidae (Katzenartige)

  • Gattung (genus): Acinonyx

  • Art (species): jubatus

Wie oben erwähnt wurden weitere Geparden-Unterarten auf Grund von Fellvariationen, Grösse etc. beschrieben (Hollister, 1911). Diese Unterarten können in einer Subfamilie "Acinonychinae" zusammengefasst werden:

  • Acinonyx jubatus fearsoni - Vorkommen: Ostafrika

  • Acinonyx jubatus hecki - Vorkommen: Nordafrika

  • Acinonyx jubatus jubatus - Vorkommen: Südafrika

  • Acinonyx jubatus ngorongorensis - Vorkommen: Ngorongoro-Krater

  • Acinonyx jubatus soemmeringii - Vorkommen: Nigeria, Somalia

  • Acinonyx jubatus venacticus - Vorkommen: Südwestasien (Iran, Afghanistan)

Nebenbei: Für den Löwen (Panthera leo) wurden mehr als 13 Unterarten beschrieben. Unterarten können sich untereinander erfolgreich kreuzen, aber aus Unterarten können im Laufe der Zeit auch eigene Arten entstehen.

Raubkatzen (Felidae) gehören innerhalb der Säugetiere zur Ordnung der Raubtiere (Carnivora). Die ältesten Fossilfunde von Raubtieren sind aus der Zeit vor ca. 60 Millionen Jahren. Dieses Zeitalter ist als das Paläozän bekannt. Ursprünglich gingen die Raubtiere aus insektenfressenden Säugetieren der Kreidezeit hervor, die sich einer rein fleischfressenden Lebensweise zuwandten [Kuhn-Schnyder und Rieber]. Die damit nötigen Änderungen betreffen Körper und Verhaltensweisen. Das Riechvermögen ist ausgezeichnet entwickelt. Zum Fressen von Fleisch ist ein schneidender Zahnapparat notwendig. Ein Paar hochspezialisierte Backenzähne bilden eine Schere. Raubtiere eroberten Lebensräume an Land als auch im Meer.

Mit Sicherheit kann man den modernen Typ von Grosskatzen in den fossilen Überresten aus der Zeit vor 30 Millionen Jahren erkennen, in der Mitte des Oligozän. Dazwischen gab es weitere katzenähnliche Formen, die aber von den meisten Autoren als Vertreter eines eigenen, ausgestorbenen Asts, der Nimravidae (Palaeofelidae), betrachtet werden. Von besonderem Interesse ist hier die Verwandschaftsbeziehung zwischen Felidae (Katzenartigen) und Canidae (Hundeartigen).



3.1. Der Stammbaum der Carnivora (Raubtiere) Stammbaum der Raubtiere

Der Stammbaum der Raubtiere (Bildquelle 2)

Aus dem Stammbaum der Raubtiere wird sogleich ersichtlich, dass schon zu einem frühen Zeitpunkt (Paläozän) eine Aufspaltung angenommen wird, welche die zwei Grossgruppen trennt in denen sich heute jeweils die Katzen- (Felidae) bzw. Hundeähnliche (Canidae) befinden. Die Begründung dafür liegt in den verschiedenen Merkmalen, die in den jeweiligen Gruppen konstant sind (wie z.B. die Zahnformel oder den Gehörknöchelchen) und der Entwicklung, die in den Funden aus verschiedenen, geologisch/physikalisch datierten Fundstellen erkennbar wird. Nebst den beiden Familien, die hier am meisten interessieren, sind auch noch folgende Raubtierfamilien eingezeichnet: Hyaenidae (Hyänen), Viverridae (Schleichkatzen), Herpestidae (Mungos), Ursidae (Bären), Odobernidae (Walrosse), Otariidae (Ohrenrobben), Phocidae (Seehunde), Procyonidae (Waschbären), Mustelidae (Marder).

Wie hier dargestellt, kann die Geschichte der heutigen Katzen bis ins Oligozän zurückverfolgt werden, ungefähr 30 Mio Jahre vor der Jetztzeit (Ziswiler, 1988). Die Gross-Geographie der Erde zeigte einige signifikante Unterschiede zu Heute. Südamerika und die Antarktis waren vollständig isoliert und Afrika hatte kaum Kontakt mit Europa. Klimatisch kam es zu dramatischen Entwicklungen, die in mehreren Abkühlungsphasen (inklusive Eiszeiten) gipfelten. Es entstanden mehr offene Grasländer dort, wo vorher Wald war. Viele Tierfamilien, deren Vertreter eine baumbewohnende Lebensweise pflegten, passten sich dem Leben in der offenen Savanne an. Und den grossen Herden der grasfressenden Tiere folgten die Jäger...

3.2. Stammbaum der Felidae (Katzenartige)

Der Stammbaum der Raubkatzen, der zu unseren heutigen Arten führt, beginnt mit Proailurus im Oligozän, vor ca 30 Mio. Jahren. Die Gattung Pseudaelurus folgte vor ca. 20 Mio. Jahren im Miozän. Von dieser frühen Katze sind Fossilfunde aus Frankreich bekannt . Die Tiere waren verhältnismässig klein (kleiner als Luchse) und hatten mehr Zähne als die heutigen Katzen. Vermutlich hielten sie sich häufig auf Bäumen und im Gebüsch auf (O'Brien, 1997).

Stammbaum der Katzenartigen

Der Stammbaum der Felidae der letzten 20 Millionen Jahre (Bild aus 2, veränd.)

Die Abzweigung in obiger Grafik vor rund 10 Mio. Jahren bezeichnet einen Ast des Stammbaums, den ich hier aus Gründen der Übersichtlichkeit weggelassen habe. Er enthält ausschliesslich ausgestorbene Grosskatzen, u.a. die Gattung Smilodon und Megantereon, die als "Säbelzahntiger" bekannt sind. Die letzten Vertreter der "Säbelzahntiger" lebten noch bis vor 10'000 Jahren, sie sind jedoch keine direkten Vorfahren der heute lebenden Tiger oder anderen Grosskatzen (Newman, C. 1997).

Einige Autoren fassen Wildkatze, Falbkatze, Ozelot, Serval und Puma in der Familie Felinae (Kleinkatzen) und der Gattung Felis zusammen. Die Hauskatze (gemeint ist hier: Felis sylvestris catus) stammt wahrscheinlich von der afrikanischen Wildkatze ab (Felis sylvestris lybica), und wurde im alten Ägypten auf Dauer domestiziert, während die allmähliche Anpassung an den Menschen bereits früher bei nomadischen Völkern stattfand. Die grösste Raubkatze dieser Gruppe, der Puma, Felis concolor (Puma, Cougar oder Berglöwe) ist nur auf dem amerikanischen Kontinent bekannt und Fossilfunde gibt es auch nur von diesem Erdteil. Die nächsten Verwandten sind die Geparden-ähnlichen Miracinonyx, die heute ausgestorben sind. Man nimmt an, dass die Abspaltung von gemeinsamen Vorfahren vor ca. 3.5 Mio. Jahren stattgefunden hat.

Von der heute ausgestorbenen Gattung Miracinonyx wurden Fossilien im Alter von 3.2 Mio. Jahren bis zu 10-20'000 Jahren in Nordamerika gefunden. Die beiden Vertreter dieser Gattung (die von einigen Autoren auch mit der Gattung Acinonyx zusammengefasst werden), M. inexpectatus und M. trumani bzw. M. studeri, hatten grosse Ähnlichkeit zum lebenden Gepard, unterscheiden sich aber dennoch in einigen Merkmalen wie u.a. Krallenabnutzung und erscheinen als eine weniger differenzierte d.h. weniger spezialisierte, Urform des heutigen Gepards (bessere Kletterer, kräftigerer Körperbau, schlechtere Sprinter) (Van Valkenburgh, 1990). Es ist nicht auszuschliessen, dass Miracinonyx inexpectatus, der grosse Ähnlichkeit mit A. pardinensis (s.u.) aufweist, der Vorfahre der heutigen Geparde ist (Turner, 1997).



Acinonyx pardinensis und A. jubatus

Im Vordergrund ein durchschnittlicher Acinonyx jubatus, dahinter Acinonyx pardinensis. A. pardinensis ist die letzte der ausgestorbenen Geparden-Arten, die in Europa lebten. Die Grundlage zu dieser Zeichnung waren Skelettfunde aus Perrier (Zentralmassiv, Frankreich), aber auch Funde aus Deutschland (Mosbach) sind bekannt. Weil A. pardinensis in kühleren Regionen lebte als der zeitgenössische Gepard, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Tiere einen dichten Winterpelz wie heute der Sibirische Tiger oder der Chinesische Leopard entwickelten. Die Fellzeichnung ist in dieser Darstellung willkürlich gewählt (Bild aus 2).

Die ältesten Fossilien der Gattung Acinonyx stammen aus Afrika im Alter von 3-3.5 Mio. Jahren, auch in Europa gab es eine weitverbreitete Art, Acinonyx pardinensis, deren jüngster Fund nicht älter als 0.5 Mio. Jahre alt ist. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen dem lebenden A. jubatus und dem ausgestorbenen A. pardinensis liegt in der Körpergrösse. A. pardinensis hatte ungefähr die Grösse von heutigen Löwen. In China wurden Fossilien einer Zwischenform gefunden, A. intermedius, die zwischen 3.8 und 1.9 Millionen Jahren in Asien lebte. A. intermedius war etwas kleiner als M. trumani. Der zeitgenössische Gepard, A. jubatus, war bis zur letzten Eiszeit ebenfalls als Subspezies in Asien (Naher Osten, Indien, China) vertreten.

Zur Gattung Panthera werden die heute lebenden Löwen (Panthera leo), Leoparden (Panthera pardus), Tiger (Panthera tigris) und Jaguar (Panthera onca) gezählt (Turner). Einige Autoren benennen eine Subfamilie Pantherinae, welche die Gattungen Panthera und Lynx (Luchse) umfasst. Ihr gemeinsames Merkmal ist ein System von Knöchelchen und elastischen Verbindungen im Bereich der Kehle (Hyoidapparat), das den Vertretern der Panthera die Erzeugung des charakteristischen, lauten Brüllens erlaubt, im Unterschied zu den wesentlich leiseren Rufen und "Schnurren" anderer Gattungen (diese Erklärung der Funktion des Hyoidapparates wird nicht von allen Autoren geteilt, aber zur Verwandtschaftsbestimmung kann dieses Merkmal dennoch herangezogen werden). Es wird angenommen, dass die Panthera unter den Felidae die stärkste Aufspaltung in mehrere Arten in den letzten 5 Mio. Jahren erlebt haben. Deshalb gelten die heute lebenden Arten dieser Gattung als "modern", während die länger zurückreichende Geschichte der Geparden diese als vergleichsweise "altertümlich" charakterisiert.


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